Marmeladenparadox und Entscheidungsfragen
In dieser Folge geht es um die Kunst, “gute” Entscheidungen zu treffen und die Fallstricke zu vermeiden, die dabei auftreten können. Von der Prioritätensetzung über die Analyse relevanter Informationen bis hin zur Gewichtung von Pro- und Contra-Argumenten – hier erhalten Sie wertvolle Einblicke in die Psychologie der Entscheidungsfindung.
Erfahren Sie in dieser Folge:
- Wie Sie zwischen Fakten und Bewertungen unterscheiden können.
- Wie Sie Ihre Intuition sinnvoll in den Entscheidungsprozess einbeziehen können.
Sie haben Fragen und Anregungen?
Dann schreiben Sie mir gerne eine Nachricht an: thomas.kapp@allscout.de
Oder wenn Sie lieber lesen möchten, geht es hier weiter mit dem Text zum Podcast.
Herzlich willkommen allseits. Ich begrüße Sie zu unserer neuen Folge von Startrampe Erfolg – Wo ist mein Zünder? Heute sprechen wir über den guten Entscheidungsprozess.
Wie immer beginnen wir mit einer Geschichte:
Ein Neffe von Benjamin Franklin soll sich nicht in der Lage gesehen haben, sich zwischen zwei Frauen zu entscheiden. Franklin riet ihm, die Vorzüge der beiden Damen in einer Tabelle nebeneinander aufzulisten und mit Punkten zu bewerten. Der Neffe tat genau das und – wenig überraschend − schnitt eine der Damen bei diesem Vergleich am Ende besser ab. In diesem Moment wurde dem Neffen jedoch klar, dass er die andere wirklich liebte.
Was bedeutet das nun für unsere Startrampe Erfolg?
Nachdem es offenbar keine guten oder schlechten Entscheidungen gibt, nähern wir uns der technisch „guten“ Entscheidung Schritt für Schritt. In jeder Entscheidungssituation sollten wir uns zunächst über unsere grundsätzlichen Prioritäten klar sein. Warum? Weil wir nur bei relevanten Entscheidungssituationen Energie in einen tiefergehenden Entscheidungsprozess investieren sollten. Alles andere ist Zeitverschwendung oder gar gefährlich. Prioritätensetzung kommt also vor Entscheidung. Wir sollten unsere Zeit überwiegend für relevante Entscheidungen nutzen – und Irrelevantes einfach ignorieren.
Beispiel:
Wenn Sie das Flugzeug von Frankfurt nach New York um 13 Uhr rechtzeitig bekommen wollen und Sie ohnehin schon zeitlich knapp dran sind, ist es einfach irrelevant, ob Sie jetzt noch den Rasen mähen oder nicht.
Analyse der Entscheidungssituation
Ist die Entscheidungssituation relevant, müssen wir die relevanten Informationen analysieren, d.h., sammeln, ordnen und bewerten. Manchmal sammeln wir zu wenige Informationen. Wir neigen leider gelegentlich auch dazu, bei deren Sammlung allzu schnell voranzuschreiten und damit ggf. relevante Informationen zu übersehen. Doch auch zu viele Informationen können den Entscheidungsprozess lähmen.
Beispiel:
Kennen Sie das berühmte „Marmeladen-Paradoxon“? Bei einer Studie aus dem Jahr 2000 kamen Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass eine größere Auswahl von Marmeladensorten zu einer Reduzierung der Kauflust führe. In Ihrer Studie stellten sie an zwei Samstagen Probiertische mit verschiedenen Marmeladensorten in einem ausgewählten Supermarkt auf, mit dem Zweck, diese den Kunden später zu verkaufen. Die Anzahl der Sorten variierte dabei nach der jeweiligen Versuchsanordnung zwischen 6 und 24 Auswahlmöglichkeiten. Bei einer großen Auswahl von 24 Sorten probierten 60 % der Kunden zwar mindestens eine Sorte, aber nur 3 % waren bereit, die Marmelade zu kaufen. Bei sechs Sorten probierten nur 40 % der Kunden, jedoch kauften 30 % der Kunden eine Marmelade. Wir sehen: Zuviel Angebot (= zu viele Informationen) sind eher hinderlich für den Entscheidungsprozess.
Nach dem Sammeln und Ordnen von relevanten Informationen müssen wir die Informationen bewerten. Ein großer Fehler vieler Entscheidungen ist es, nicht zwischen Fakten und Bewertungen zu unterscheiden. Fakten sind „hart“, Bewertungen sind „weich“. Umgekehrt sind Fakten emotionslos, Bewertungen nicht. Zuerst müssen wir die Fakten so anerkennen, wie sie sind. Wir dürfen uns die Situation nicht „schönreden“, sonst wird uns deren „Härte“ abstrafen. Das ist zuweilen eine Herausforderung, weil die Unterschiede zwischen Tatsache und Bewertung schnell verschwimmen können. Manchmal gibt es keine verlässlichen Tatsachen, so dass der Bewertung der Situation eine noch größere Bedeutung zukommt. Auch aus diesem Grund waren z.B. in der Corona-Pandemie die Bekämpfungsmaßnahmen der einzelnen Länder z.T. sehr unterschiedlich. Auch ein guter General weiß, dass er zwischen Fakten und Bewertungen unterscheiden muss. Tut er es nicht, kann dies tödlich sein.
Die klassischen Techniken
Nun sind die Vorbereitungen für die endgültige Entscheidung abgeschlossen (insbesondere haben wir das „Ende der Informationen“ erreicht). Die Suche nach einer „rationalen“ und „guten“ Entscheidung war schon immer ein Menschheitstraum. Im wissenschaftlichen Bereich kursieren zahlreiche Entscheidungstheorien, deren Darstellung den Rahmen dieses Buches definitiv sprengen würden. Die Befassung mit diesen Techniken überlasse ich daher Ihrem Selbststudium.
Auf eine klassische Entscheidungstechnik von Benjamin Franklin, einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika, möchte ich wegen ihrer Bekanntheit allerdings hinweisen. Er hat sie gegenüber dem Wissenschaftler Joseph Priestley in einem Brief erläutert: Man soll auf einem Papier zwei Spalten (T-Konto) einrichten und die Pro- und Contra-Argumente jeweils in der entsprechenden Spalte vermerken. Anschließend wird jedem Argument eine Punktzahl gegeben, die seiner Wichtigkeit entspricht. Diese Punktzahlen werden mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert. Daraus ergibt sich für jedes Argument ein Wichtigkeitsfaktor. Gleiche Wichtigkeitsfaktoren auf Pro- und Contra-Seite „gekürzt“, d.h. können eliminiert werden. Zum Schluss werden die verbliebenen Wichtigkeitsfaktoren auf Pro- und Contra-Seite addiert. Die höhere Summe soll den Ausschlag über Pro oder Contra geben.
Eine ähnliche Methode bei Entscheidungen mit mehreren Optionen wird ebenfalls Franklin zugeschrieben. Danach werden nur Pro-Argumente für die einzelnen Optionen notiert und bewertet. So dann wird die Summe der einzelnen Werte addiert und durch die Zahl der Argumente geteilt. Die Option mit dem höchsten Faktor „obsiegt“.
Diese und viele andere „rationale“ Methoden haben den Charme, das Gefühl zu vermitteln, man könne eine gute Entscheidung mit quasi-mathematischer Genauigkeit ganz rational „berechnen“. Eine solche Rationalität gibt es jedoch nicht. Warum? Das Gefühl entscheidet und der Verstand setzt (sozialverträglich) um. Unser Bauchgefühl trifft im Regelfall die Entscheidung des „WAS“ und unser Verstand die Entscheidung des „WIE“. Die Eingangsgeschichte von Franklins Neffen ist ein schöner Beleg für diese Erkenntnis.
Auch wenn diese Methoden keine wirkliche rationale Entscheidung ermöglichen, sind sie nicht nutzlos. Was sie zweifellos leisten können, ist die Sammlung einer (weitgehend) vollständigen Liste von relevanten, „objektiven“ Aspekten, insbesondere von Risiken, aber auch Chancen. Was diese „rationalen“ Techniken jedoch nie sicherstellen können, ist die Erzielung eines subjektiv befriedigenden Entscheidungsergebnisses.
Der Fehler der „Rückschau“
Manche Menschen machen den Fehler, nach der Entscheidung wieder zurückzuschauen. Entweder öffnen sie die innere Diskussion erneut, ob die Entscheidung wirklich richtig war. Oder sie fangen an, sich die Richtigkeit anhand neuer Fakten und Meinungen bestätigen zu lassen.
Beispiel:
Jemand hat sich einen schönen Anzug gekauft und verlässt glücklich das Geschäft. Dann kommen ihm jedoch Skrupel und er fängt an, bei anderen Geschäften oder im Internet nachzuprüfen, wie dort der Preis für diesen Anzug gewesen wäre. Dies ist ein glatter Verstoß gegen unsere oben definierte Regel, am Anfang des Entscheidungsprozesses alle relevanten Informationen zu sammeln und dann anhand unserer Prioritäten sukzessive die Datenbasis zu verengen, um zu einer guten Entscheidung zu kommen.
Wer nun nach getroffener Entscheidung anfängt, neue Daten zu sammeln, öffnet den Trichter erneut. Mit fatalen Folgen: Findet er keinen günstigeren Anzug, dann muss er sich zwar nicht ärgern, zu viel Geld ausgegeben zu haben, aber er verschwendet unnötige Zeit, raubt sich Energie (und bis zu einem gewissen Grad auch die Freude an seinem neuen Anzug) − und er schaut nicht mehr konzentriert in die Zukunft, weil man nicht gleichzeitig nach hinten und nach vorne schauen kann. Noch schlimmer, wenn er den gleichen Anzug zu einem günstigeren Preis findet. Er hat nicht nur die gerade beschriebenen Nachteile, sondern ärgert sich zusätzlich über das verschwendete Geld und beraubt sich der Freude an seinem neuen Anzug vollends, und zwar langfristig: Jedes Mal, wenn er den Anzug anzieht, muss er an diesen Makel denken. Der Anzug trägt quasi ein Kainsmal.
Eine neue Entscheidung ist möglich
Die vorstehenden Äußerungen bedeuten keineswegs, dass nach Umsetzung einer Entscheidung keine Möglichkeit besteht, erneut Bilanz zu ziehen und ggf. eine neue Entscheidung zu treffen. Es ist aber dann eben eine neue, in die Zukunft gerichtete Entscheidung und keine (gar nicht mögliche) in die Vergangenheit gerichtete „nachträgliche“ Revision einer alten Entscheidung. Eine vergangene, also historische Entscheidung kann immer überdacht und mit einer neuen Entscheidung korrigiert werden. Das kann vielfach sehr sinnvoll sein, z.B. weil es neue (bessere) Informationen gibt, weil sich eine Änderung der Lage ergeben hat, weil man seinen Geschmack geändert hat oder einfach, weil man in der ursprünglichen Entscheidung einen technischen Fehler erkannt hat.
Der Fehler der „Rationalisierung“
Ein weiterer Fehler ergibt sich, wenn man nachträglich versucht, eine getroffene Entscheidung zu rationalisieren. Wir haben oft einen Rechtfertigungszwang, offenbar trauen wir unseren Gefühlen und unserer Intuition nicht – wir wollen eine „Genehmigung“ des Verstands. Warum sagen wir nicht: „Ich tue das, weil ich das will“? Punkt. Keine Begründung.
Der nachträgliche Versuch einer Rechtfertigung hingegen
- vergeudet Zeit und Energie, denn wir können die Vergangenheit nicht ändern,
- verhindert den Abschluss der alten Entscheidung und versperrt dadurch den Weg für neue Entscheidungen (denn wir können nicht an zwei Dinge gleichzeitig denken) und
- macht uns dauerhaft unglücklich, weil wir zulassen, dass unser Meckeraffe unsere Gefühle entwertet, was an unserem Selbstbild nagt.
Für heute sind wir damit fast am Ende. Wie immer gibt es für Sie noch zwei Impulse, liebe Leserinnen und Leser, ein Zitat und eine Frage zum Nachdenken.
Das heutige Zitat stammt heute aus dem Neuen Testament, Matth. 5, 37:
„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“
Und die persönliche Frage für Sie lautet:
– Mit welcher Technik treffen Sie Entscheidungen?
Das war es für heute.
In der nächsten Folge am Mittwoch, den 4. September sprechen wir über das Pareto-Prinzip.
Bis dahin verbleibe mit ich den besten Wünschen, Ihr Thomas Kapp
Dr. Thomas Kapp
Chopinstraße 23
70195 Stuttgart